Zwischen Standards und Werten: Potenziale der Gemeinwohl-Ökonomie zur Stärkung der European Sustainability Reporting Standards

Zwischen Standards und Werten: Potenziale der Gemeinwohl-Ökonomie zur Stärkung der European Sustainability Reporting Standards
Eine Frau schwenkt eine Fahne der GWÖ-Bewegung im Europäischen Parlament in Strassburg. (Quelle: AI-generiertes Bild)

Ausgangslage

Immer mehr Unternehmen in der EU sind verpflichtet, über ihre Nachhaltigkeitsleistungen zu berichten – unter anderem durch die neuen European Sustainability Reporting Standards (ESRS). Diese Regulierungen sollen Transparenz schaffen und Unternehmen zu nachhaltigerem Handeln bewegen. Doch in der Praxis zeigt sich: Die Berichte bleiben oft technokratisch und führen kaum zu substanziellen Veränderungen. Gleichzeitig wachsen die globalen Herausforderungen – von Umweltzerstörung über ökonomische Ungleichheit bis hin zum Erstarken rechtspopulistischer Kräfte aufgrund einer multidimensionalen Verunsicherung in der Bevölkerung. Die Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) bietet hier eine Alternative: Sie stellt das Gemeinwohl ins Zentrum und orientiert sich an Werten wie Menschenwürde, Solidarität & Soziale Gerechtigkeit, Ökologische Nachhaltigkeit und Transparenz & Mitentscheidung.

Zielsetzung und Fragestellung

Die Arbeit verfolgt das Ziel, konkrete Elemente aus der GWÖ zu identifizieren, mit denen die ESRS gestärkt werden können. Es soll ein Beitrag dazu geleistet werden, die ESRS nicht nur als Berichtspflicht, sondern als echtes Transformationsinstrument zu gestalten.

Im Zentrum steht die Frage:
„Welche Elemente der Gemeinwohl-Ökonomie sollen in die European Sustainability Reporting Standards integriert werden, sodass diese bei den Unternehmen eine stärkere wertebasierte Ausrichtung und transformative Wirkung erzielen?“

Diese Hauptfrage wird durch zwei Teilfragen konkretisiert:

  1. „Mit welchen Elementen der Gemeinwohl-Ökonomie könnten die ESRS ergänzt werden, sodass diese wertebasierter daherkommen und eine stärkere transformative Wirkung erzielen?“
  2. „Welche positiven Effekte könnten aus einer solchen Integration entstehen?“

Methodik

Zur Beantwortung der Forschungsfrage wurde ein zweistufiges Vorgehen gewählt, das theoretische und empirische Elemente kombiniert. Im ersten Schritt erfolgte ein systematischer Vergleich der European Sustainability Reporting Standards (ESRS) mit dem Berichtssystem der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ). Dabei wurden beide Rahmenwerke hinsichtlich Struktur, Bewertungslogik und inhaltlicher Schwerpunkte analysiert, um bestehende Lücken und potenzielle Ergänzungsbereiche zu identifizieren.

Im zweiten Schritt wurden sieben leitfadengestützte Interviews mit Expert:innen aus Unternehmen durchgeführt, die entweder mit den ESRS oder der GWÖ-Bilanz praktische Erfahrungen gesammelt haben. Ziel war es, deren Einschätzungen zur Wirkung von Nachhaltigkeitsberichterstattung auf strategische Ausrichtungen, interne Prozesse und die tatsächliche Nachhaltigkeitsleistung im Unternehmen zu erfassen. Die Gespräche wurden mit MAXQDA ausgewertet, um zu erkennen, welche Elemente der GWÖ in der Praxis als besonders wirkungsvoll und integrationsfähig gelten, wobei die Kategorienbildung einem deduktiv-induktiven Vorgehen folgte.

Ergebnisse

Die Ergebnisse zeigen, dass insbesondere drei Elemente der GWÖ eine sinnvolle Ergänzung der ESRS darstellen würden: ein Bewertungssystem zur Messung der tatsächlichen Nachhaltigkeitsleistung, die freiwillige Empfehlung zur Teilnahme an Peer-Gruppen sowie die Integration bisher fehlender inhaltlicher Aspekte wie Mitentscheidung, ethische Finanzierung oder Sinnorientierung.

Diese Elemente könnten nicht nur die Aussagekraft der Berichte erhöhen, sondern auch die unternehmerische Praxis substanziell beeinflussen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine gezielte Verbindung von ESRS und GWÖ-Inhalten die Transformation der Wirtschaft wirksamer unterstützen könnte – im Sinne einer sozial-ökologischen Ausrichtung mit echtem Gemeinwohlbezug.