Herausforderungen und Potenziale der nachhaltigen öffentlichen Beschaffung im Hochbau im Sinne der Kreislaufwirtschaft: Vergleich von städtischen und ländlichen Gemeinden in der Schweiz
Kontext
Die Baubranche gehört zu den ressourcenintensivsten Wirtschaftssektoren weltweit und ist für einen erheblichen Anteil des CO₂-Ausstosses sowie des Abfallaufkommens verantwortlich. Der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft ist deshalb von zentraler Bedeutung, um Stoffkreisläufe zu schliessen und die ökologische Belastung zu reduzieren. Die öffentliche Hand spielt dabei eine zentrale Rolle: Einerseits ist sie mitverantwortlich für die Umweltziele, andererseits ist sie eine bedeutende Akteurin am Beschaffungsmarkt. Die Revision der Interkantonalen Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (IVöB 2019), die im Jahr 2022 im Kanton Bern in Kraft getreten ist, eröffnet neue Handlungsspielräume für eine nachhaltige öffentliche Beschaffung. Dennoch bestehen Unterschiede in der Umsetzung zwischen verschiedenen Gemeinden. Diese Arbeit untersucht, wie städtische und ländliche Gemeinden im Kanton Bern mit diesen neuen Anforderungen umgehen und welche Herausforderungen und Potenziale sich dabei zeigen.
Problemstellung und Zielsetzung
Obwohl die rechtlichen Grundlagen mit der IVöB 2019 geschaffen wurden und Nachhaltigkeitskriterien vermehrt in der öffentlichen Beschaffung berücksichtigt werden dürfen, bestehen Umsetzungsprobleme. Insbesondere kleinere und ländlich geprägte Gemeinden verfügen oft nicht über die notwendigen personellen, fachlichen oder finanziellen Ressourcen, um anspruchsvolle Nachhaltigkeitskriterien oder Prinzipien der Kreislaufwirtschaft in die Bauplanung und Beschaffung zu integrieren. Demgegenüber stehen grössere, städtische Gemeinden, welche häufig über spezialisierte Fachstellen verfügen und sich aktiver mit Nachhaltigkeitsthemen auseinandersetzen. Ziel dieser Bachelor Thesis ist es, die Herausforderungen und Potenziale der nachhaltigen öffentlichen Beschaffung im Hochbau im Sinne der Kreislaufwirtschaft zu identifizieren. Durch den Vergleich zwischen drei städtischen (Bern, Biel/Bienne, Thun) und drei ländlichen Gemeinden (Vechigen, Zollikofen, Steffisburg) im Kanton Bern sollen Unterschiede und Erfolgsfaktoren aufgezeigt sowie praxisnahe Handlungsempfehlungen abgeleitet werden.
Methodik
Die Untersuchung basiert auf einem qualitativen Forschungsdesign. Es wurden sechs leitfadengestützte Expert:inneninterviews mit Personen geführt, die direkt oder indirekt mit dem Thema Hochbau und Beschaffung in ihrer Gemeinde befasst sind. Die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner stammen jeweils aus drei städtischen und drei ländlichen Gemeinden, wobei bewusst Gemeinden mit unterschiedlicher Grösse, Struktur und interner Organisation ausgewählt wurden. Die Interviews wurden via Microsoft Teams anhand eines semi-strukturierten Leitfadens durchgeführt, der thematische Fokussierung mit Offenheit für neue Aspekte verbindet. Die Auswertung erfolgte mittels qualitativer Inhaltsanalyse, wobei die Kategorien direkt aus dem Interviewmaterial entwickelt wurden, um der subjektiven Sichtweise der Befragten möglichst viel Raum zu geben.
Ergebnisse
Die Ergebnisse zeigen deutliche strukturelle Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen Gemeinden. Städtische Gemeinden profitieren von spezialisierten Abteilungen, differenzierten Zuständigkeiten und grösseren personellen Ressourcen, während kleinere Gemeinden mit begrenzteren Ressourcen auskommen müssen und ihre Mitarbeitenden häufig mehrere Funktionen gleichzeitig übernehmen. Als zentrale Herausforderungen wurden der Mangel an spezifischem Fachwissen, begrenzte zeitliche und finanzielle Ressourcen sowie rechtliche und administrative Hürden identifiziert. Trotz dieser Unterschiede zeigt die Untersuchung, dass das Grundverständnis von nachhaltiger öffentlicher Beschaffung in allen befragten Gemeinden umfassend ist und über reine Umweltaspekte hinausgeht. Als Erfolgsfaktoren wurden die frühzeitige Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in den Planungsprozess, klare Vorgaben und Standards sowie die Förderung von Zusammenarbeit und Austausch identifiziert. Kleinere Gemeinden profitieren von kürzeren Entscheidungswegen und mehr Flexibilität, während grössere Städte ihre Erfahrungen und ihr Fachwissen teilen können. Die Arbeit liefert wichtige Erkenntnisse für die Weiterentwicklung nachhaltiger Beschaffungspraktiken im kommunalen Hochbau und zeigt Ansatzpunkte für Unterstützungsmassnahmen auf, damit die Gemeinden die nachhaltige öffentliche Beschaffung im Hochbau noch effektiver umsetzen können.