Digitale Barrierefreiheit in Berner Gemeinden: Zwischen gesetzlichem Anspruch und digitaler Realität

Digitale Barrierefreiheit in Berner Gemeinden: Zwischen gesetzlichem Anspruch und digitaler Realität
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Die Bachelorarbeit untersucht die digitale Barrierefreiheit von Gemeinde-Webseiten im Kanton Bern. Sie analysiert den aktuellen Ist-Zustand der Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) 2.1. Die Arbeit entstand vor dem Hintergrund der fortschreitenden Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung und der gesetzlichen Verpflichtungen zur digitalen Inklusion, die durch das Gesetz über die digitale Verwaltung (DVG) des Kantons Bern seit 2023 verstärkt wurden. Trotz klarer rechtlicher Vorgaben zeigen internationale Studien erhebliche Defizite bei der praktischen Umsetzung von Barrierefreiheitsstandards. Die Arbeit adressiert diese Forschungslücke, indem sie eine systematische Analyse der digitalen Zugänglichkeit auf Gemeindeebene im Kanton Bern durchführt und dabei sowohl technische als auch organisatorische Faktoren berücksichtigt.

Das Hauptziel der Arbeit bestand darin, den aktuellen Stand der digitalen Barrierefreiheit in Berner Gemeinden systematisch zu erfassen und praxisorientierte Handlungsempfehlungen zu entwickeln. Zunächst wurde eine umfassende Bewertung der technischen Konformität mit WCAG 2.1 AA-Standards durchgeführt, um häufige Barrieren und Muster zu identifizieren. Zweitens zielte die Arbeit darauf ab, die organisatorischen, technischen und ressourcenbezogenen Faktoren zu analysieren, die den Implementierungserfolg beeinflussen. Drittens sollten spezifische Unterschiede zwischen verschiedenen Gemeindetypen (nach Grösse, Sprachregion und Serviceangebot) untersucht werden. Schliesslich wurden differenzierte Handlungsempfehlungen entwickelt, die den unterschiedlichen Voraussetzungen und Ressourcen der Gemeinden gerecht werden.

Die Arbeit folgte einem Mixed-Methods-Ansatz, der quantitative Webseiten-Evaluierungen mit qualitativen Interviews kombinierte. In der ersten Phase wurden 36 Berner Gemeinden (10,7% aller 335 Gemeinden) mittels geschichteter Zufallsauswahl ausgewählt und deren Webseiten systematisch evaluiert. Die technische Bewertung erfolgte durch automatisierte Tests mit den Tools WAVE und AXE sowie manuelle Prüfungen nach der Barrier Walkthrough Methode. Ergänzend wurden Nutzungstests mit Menschen mit Sehbehinderungen durchgeführt, um reale Nutzungserfahrungen zu erfassen.

In der zweiten Phase wurden neun semi-strukturierte Interviews mit drei Zielgruppen geführt: Gemeindevertretenden, Accessibility-Fachkräften und CMS-Anbietern. Die Interviews orientierten sich am Web Accessibility Integration Model (Lazar et al.) und wurden mittels qualitativer Inhaltsanalyse ausgewertet. Die Integration beider Forschungsphasen ermöglichte eine ganzheitliche Analyse, die sowohl den Ist-Zustand quantitativ beschreibt als auch die zugrundeliegenden Prozesse und Einflussfaktoren erklärt.

Die Untersuchung zeigt, dass die digitale Barrierefreiheit auf Berner Gemeinde-Webseiten noch nicht vollständig realisiert ist. Mit einer durchschnittlichen WCAG-Konformität von 84.21 % erreichen die Gemeinden zwar einen grundlegenden Standard, bleiben jedoch hinter den gesetzlichen Anforderungen zurück. Im internationalen Vergleich schneiden die analysierten Webseiten mit durchschnittlich 316 Fehlern pro Seite deutlich schlechter ab als der globale Durchschnitt von 57 Fehlern pro Seite.

Die häufigsten Problemkategorien umfassen Strukturprobleme (fehlende Landmarks), Kontrastprobleme, fehlende Textalternativen und redundante Elemente. Interessanterweise zeigt sich eine inverse Korrelation zwischen Gemeindegrösse und Barrierefreiheitsperformance: Kleine Gemeinden erreichen mit 84.87 % den höchsten Konformitätswert, während grosse Gemeinden aufgrund komplexerer Webauftritte mehr Barrieren aufweisen.

Die qualitativen Interviews identifizierten Wissensdefizite, Ressourcenlimitationen und organisatorische Hindernisse als Hauptherausforderungen. Als Erfolgsfaktoren erwiesen sich die frühzeitige Integration von Barrierefreiheit in Entwicklungsprozesse, die Einbeziehung von Menschen mit Behinderungen und eine klare organisatorische Verankerung.

Basierend auf diesen Erkenntnissen wurden Handlungsempfehlungen entwickelt, die strategische Massnahmen (Verankerung in der Digitalstrategie), technische Leitlinien (automatisierte Tests, CMS-Optimierung), organisatorische Massnahmen (Schulungen, Verantwortlichkeiten) und eine ressourcenorientierte Implementierungsplanung umfassen.