Der Austrittsbericht als Schlüssel zur Entlastung des Schweizer Gesundheitssystems

Optimierungspotenziale zur Kostensenkung und Qualitätssteigerung
Die Schweiz steht unter Druck: steigende Gesundheitskosten, überlastete Spitäler und komplexe Abrechnungssysteme fordern alle Beteiligten im Gesundheitswesen heraus. In meiner Bachelorarbeit an der Berner Fachhochschule habe ich mich intensiv mit einem zentralen, aber oft übersehenen Dokument befasst: dem Austrittsbericht. Was zunächst unscheinbar klingt, entpuppte sich bei genauer Betrachtung als Schlüssel zur besseren Abrechnung und langfristigen Entlastung unseres Gesundheitssystems, sowohl finanziell als auch qualitativ.
Der Kern des Problems: Dokumentation vs. Abrechnung
Seit der Einführung von SwissDRG basiert die stationäre Abrechnung auf Fallpauschalen. Das bedeutet: Nur was dokumentiert und korrekt kodiert ist, wird auch vergütet. Fehlen Angaben im Austrittsbericht, entstehen schnell Erlöseinbussen im fünfstelligen Bereich – pro Fall.
In meiner qualitativen Forschung mit 11 Expert:innen wurde klar: Es hapert an Zeit, Bewusstsein und technischen Schnittstellen. Ärzt:innen schreiben unter hohem Zeitdruck die Berichte, oft ohne zu wissen, welche ökonomischen Konsequenzen unvollständige Angaben haben. Kodierer:innen wiederum kämpfen mit Lücken, Mehrdeutigkeiten und Systemgrenzen.
Von der Theorie zur Anwendung
Zur Analyse habe ich zwei Theorien kombiniert:
- Die Human Error Theory zeigt, wie systemische Bedingungen (z. B. Zeitmangel, fehlende Standards, schlechte IT-Systeme) individuelle Fehler begünstigen.
- Die Agency Theory erklärt, warum Ärzt:innen und Kodierer:innen, obwohl sie ein gemeinsames Ziel verfolgen, oft aneinander vorbeiarbeiten, weil Rollen, Erwartungen und Informationsflüsse nicht klar definiert sind.
Ein besonders einprägsames Modell in diesem Zusammenhang ist das Swiss Cheese Modell nach James Reason. Es veranschaulicht, wie sich Fehler durch verschiedene Schutzebenen (z. B. Dokumentation, Kodierung, Qualitätskontrolle) „hindurchschleichen“ können – wie durch die Löcher in mehreren übereinanderliegenden Käsescheiben. Wenn alle Löcher zufällig in einer Linie liegen, kommt es zum sogenannten „Fehlermanagementversagen“. In meinem Thema bedeutet das konkret: Wenn ärztliche Dokumentation, Kodierung und Systemkontrollen gleichzeitig versagen oder unvollständig sind, entstehen Abrechnungsverluste mit gravierenden Folgen für die Institution und letztlich auch für die Versorgungsqualität.
Das Swiss Cheese Modell hilft also, Fehler nicht isoliert einer Person zuzuschreiben, sondern als Systemversagen zu begreifen – und genau das ist zentral für ein besseres Verständnis der Problematik rund um den Austrittsbericht.
Diese theoretischen Perspektiven bildeten die Grundlage für meine qualitative Untersuchung.
Warum ich mich für dieses Thema entschieden habe
Im Sommer 2024 nahm ich an der Summer School der Berner Fachhochschule teil. Dort arbeitete ich gemeinsam mit einer Mitstudierenden an einer praxisnahen Herausforderung aus dem Schweizer Gesundheitswesen. Im Zentrum stand die Idee, Kodierfehler in Austrittsberichten aufzudecken, um Spitäler bei der korrekten Abrechnung zu unterstützen.
Diese Erfahrung hat mich so stark beschäftigt, dass ich beschloss, meine Bachelorarbeit genau diesem Thema zu widmen. Ich wollte tiefer verstehen, wodurch die Fehler in der Dokumentation entstehen, welche Folgen sie haben – und vor allem: wie man sie vermeiden kann.
Mein Fazit:
Die grössten Potenziale zur Kostensenkung liegen nicht (nur) in medizinischer Innovation, sondern oft in den Details der administrativen Prozesse. Wer den Austrittsbericht ernst nimmt, kann das System langfristig stärken – finanziell wie qualitativ.