Akzeptanzprüfung von Self-Sovereign Identity Eine qualitative Untersuchung anhand des Studierendenausweises der Berner Fachhochschule

Akzeptanzprüfung von Self-Sovereign Identity Eine qualitative Untersuchung anhand des Studierendenausweises der Berner Fachhochschule
Quelle: (Adobe Firefly, 2024)

Ausgangslage:

Das Schweizer Stimmvolk lehnte am 7. März 2021 das Bundesgesetz für elektronische Identifizierungsdienste (E-ID-Gesetz, BGEID), welches die Einführung einer E-ID bedeutet hätte, ab. Der Bundesrat und das Parlament sind jedoch davon überzeugt, dass eine E-ID für die digitale Transformation der Schweiz notwendig ist. Bei der Ausgestaltung dieser neuen E-ID soll nach dem Self-Sovereign Identity (SSI) Paradigma user-zentriert vorgegangen werden und zusätzlich in Form des E-ID-Ökosystem ermöglicht werden, dass staatliche und private Institutionen diese Technologie nutzen können, um digitale Ausweisdokumente auszustellen und überprüfen zu können. Unternehmen fragen sich nun, welches Potential SSI für ihre Geschäftsprozesse bietet und wie sie sich diesbezüglich zu positionieren haben. Ein Schweizer Unternehmen, welches sich bereits sehr ausführlich mit der Thematik der SSI beschäftigt und sich diesen beiden Fragestellungen annimmt, ist die SwissSign Group AG. Unter anderem führte die SwissSign Group AG an der Berner Fachhochschule (BFH) vom 20. November bis 12. Dezember 2023 ein Pilotprojekt durch, welche die Akzeptanz der Studierenden in Bezug auf einen SSI basierten digitalen Studierendenausweis untersuchte. Das Pilotprojekt untersuchte jedoch nicht, ob der SSI basierte digitale Studierendenausweis ausserhalb der Fachhochschule als Identifikationsdokument akzeptiert wird. In diesem Zusammenhang wurde auch nicht untersucht, in welcher Form der SSI basierte digitale Studierendenausweis akzeptiert wird. Ausgehend von dieser Ausgangslage wurde vorliegende Bachelorthesis verfasst, welche die Akzeptanz von Institutionen, Organisationen und Unternehmen betreffend eines SSI basierten digitalen Studierendenausweises zur Identifikation von Studierenden untersucht.

Vorgehen:

Um eine gezielte Untersuchung der Akzeptanz von Institutionen, Organisationen und Unternehmen betreffend eines SSI basierten digitalen Studierendenausweises angehen zu können, wurden zum einen die nachfolgende Hauptforschungsfrage sowie zwei daraus entstandene Folgefragen definiert und zum anderen als Untersuchungsgegenstand die Akzeptanz von Anbieter*innen, welche Vergünstigungen für Studierende anbieten, festgelegt.

  • Hauptforschungsfrage: «Akzeptieren Verifier*innen einen SSI basierten digitalen Studierendenausweis zur Identifikation von Studierenden?» ​
  • Erste Folgefrage: Wovon hängt die Akzeptanz der Verifier*innen gegenüber der SSI ab?
  • Zweite Folgefrage: Wie muss ein digitaler Studierendenausweis ausgestaltet sein, damit dieser von den Verifier*innen akzeptiert wird?

Zielsetzung:

Die Zielsetzung der vorliegenden Bachelorthesis bestand daraus, die Sichtweise und Meinungen der Anbieter*innen von Vergünstigungen für Studierende betreffend eines SSI basierten Studierendenausweises zu sammeln, einzuordnen und anschliessend der BFH sowie der SwissSign Group AG Informationen zur Ausgestaltung eines SSI basierten digitalen Studierendenausweises liefern zu können.

Methodisches Vorgehen:

Zur Beantwortung der Forschungsfragen und zur Erreichung der Zielsetzung wurden halbstrukturierte Experteninterviews durchgeführt. Hierbei wurde ein eigens erstellter Interviewleitfaden genutzt, um unter anderem die Vergleichbarkeit der Interviews sicherstellen zu können und über eine Flexibilität zu verfügen, welche das Anpassen der Fragen auf den spezifischen Experten respektive die spezifische Expertin zulassen. Die Interviews wurden anschliessend in MAXQDA transkribiert und anhand der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring ausgewertet.

Zur Formulierung der Fragen des Leitfadens, wurde folgendes Modell verwendet, welches eine Eigenentwicklung aus der Theorie der drei Technologieakzeptanzmodellen (TAM1, TAM2 und TAM3) und den beiden Ausführungen der einheitlichen Theorie der Akzeptanz und Nutzung (UTAUT1 und UTAUT2) im Englischen (Unified Theory of Acceptance ans Use), abgekürzt UTAUT darstellt. Dieses Modell sieht wie folgt aus:

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an (Venkatesh et al., 2003, S. 447, 2012, S.160; Venkatesh & Bala, 2008, S. 64)

Damit die Forschungsfrage: «Wie muss ein digitaler Studierendenausweis ausgestaltet sein, damit dieser von den Verifier*innen akzeptiert wird?», beantwortet werden kann, wurde gemäss den vorgeschlagenen Lösungen von uPort und bitkom Vorprototypen, sogenannte Mockups erstellt, welche die aktuell denkbarsten digitalen Identifikationsmöglichkeiten abdecken, welche dann zur Kontrolle an die SwissSign Group AG geschickt wurden, welche diese dann für die Interviewbefragung freigab. Bei diesen Mockups handelt es sich um Vorprototypen, also um Prototypen, welche einen theoretischen Lösungsansatz präsentieren und somit über keine einzige codierte Zeile verfügen. Nachfolgend können die Illustrationen der erstellten Mockups entnommen werden.

Mockup 1: Aktualitätsproof

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an (Berner Fachhochschule, 2024; Weyermann, 2024, S.2)

Mockup 2: QR-Code Scanning

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an (Berner Fachhochschule, 2024; Weyermann, 2024, S.3)

Mockup 3: Onlineidentifikation

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an (Verein Verkehrshaus der Schweiz, 2024b; Weyermann, 2024, S.5

Ergebnisse:

Aus den durchgeführten halbstrukturierten Experteninterviews geht hervor, dass sich die Anbieter*innen von Vergünstigungen einen Studierendenausweis gemäss SSI zur Identifikation von Studierenden vorstellen können, hierbei jedoch folgende Punkte zu beachten sind:

  • Ein einheitlicher, schweizweit geltender Studierendenausweis wird angeboten.
  • Bereitstellung des digitalen Studierendenausweises gemäss SSI durch eine Vertrauenswürdige Institutionen.
  • Der digitale Studierendenausweis gemäss SSI verfügt über eine robuste, zuverlässige und effiziente Software.
  • Es werden Informationen zur Verfügung gestellt, damit zum einen bekannt ist, wie die Korrektheit des Identifikationsdokumentes festgestellt werden kann und zum anderen damit Rechtfertigungsdiskussionen beim Einlass vermieden werden können.
  • Durch die Einführung des digitalen Studierendenausweises gemäss SSI kommt es zu keinen Situationen mehr, in denen Studierende sich nicht ausweisen können.
  • Durch die Einführung des digitalen Studierendenausweises gemäss SSI kann beim Identifikationsprozess eine Effizienzsteigerung wahrgenommen werden.
  • Die Interoperabilität wird gewährleistet.

Betreffend den 3 Mockups ergaben sich folgende Ergebnisse:

  • Mockup 1 wird akzeptiert, wenn die Gültigkeit nachgewiesen ist und keine leichte Fälschung möglich ist. Bei zu vielen Betrugsfällen wird ein physischer Ausweis oder ein zusätzlicher Nachweis gefordert.
  • Mockup 2 wird akzeptiert, wenn die aktuelle Infrastruktur genutzt werden kann, der gesamte Ausweis angezeigt wird und der QR-Code optional ist. Ein QR-Code allein wird nicht akzeptiert.
  • Mockup 3 wird akzeptiert, wenn sichergestellt ist, dass vergünstigte Tickets nicht weitergegeben werden und die Lösung in der eigenen Website integriert werden kann. Wird das Ticket weitergegeben, muss vor Ort eine weitere Identifizierung durchgeführt werden, was Mockup 3 nicht vorsieht.

Beantwortung der Forschungsfragen:

  • Aus der Literaturrecherche und den Ergebnissen der qualitativen Inhaltsanalyse ergibt sich als Antwort auf die Hauptforschungsfrage, dass sich Verifier*innen grundsätzlich Identifikationslösungen gemäß SSI vorstellen können, sofern diese interoperabel und auf ihre Bedürfnisse angepasst sind.
  • Die erste Folgefrage lässt sich so beantworten, dass verschiedene Einflussfaktoren eine Rolle spielen und die Akzeptanz der Verifier*innen vor allem davon abhängt, wie der SSI basierte digitale Studierendenausweis ausgestaltet wird.
  • Die zweite Folgefrage lässt sich so beantworten, dass eine einheitliche, schweizweit geltende Lösung entwickelt werden sollte, die es den Verifier*innen ermöglicht, selbst festzulegen, welche Claims sie prüfen möchten. Ein SSI-basierter digitaler Studierendenausweis sollte mindestens die Claims Gültigkeit, Bild, Vor- und Nachname umfassen. Eine flächendeckende Akzeptanz kann möglicherweise erreicht werden, wenn der Ausweis gemäß dem Mockup 2 gestaltet wird, wobei der QR-Code lediglich optional gescannt werden muss.

Ausgehend von den Ergebnissen der halbstrukturierten Experteninterviews würde dies ein denkbarer digitaler Studierendenausweis darstellen:

Entwurf eines möglichen Studierendenausweises gemäss SSI

Quellen: (Eigene Darstellung in Anlehnung an Weyermann, 2024, S.3)

Ausblick für die Forschung:

Für die weiterführende Forschung sind folgende Themenfelder denkbar:

  • Eine Untersuchung betreffend alternativer Identifikationsbewiese, welche prüft, ob eine Akzeptanz wegen der Reputation oder aufgrund von Kulanz vorliegt, wodurch eine kritische Betrachtung der Akzeptanz der Präsentation von Verifiable Credentials in Form des Selective Disclosure und Zero-Knowledge Proof möglich wird.
  • Wie weit kann die Ausgestaltung der digitalen Studierendenausweise gemäss SSI ausgestaltet werden? Wird zum Beispiel ein digitaler Studierendenausweis bestehend aus verschiedenen digitalen Bestandteilen anderer digitaler Nachweise akzeptiert? Aus dieser Beantwortung resultieren Ausdifferenzierung betreffend der Ausgestaltung des SSI-Ökosystem​.
  • Eine Untersuchung betreffend des Einflusses von gesetzlichen Rahmenbedingungen auf die Ausgestaltung sowie Nutzung von SSI-Lösungen.
  • Sobald die Vorprototypen in Form von funktionierenden Prototypen vorliegen kann die Handlungsakzeptanz betrachtet werden und sobald eine Kommerzialisierung der Prototypen vorliegt, respektive die Prototypen als ein funktionierendes Produkt auf dem Markt angeboten werden, kann die Nutzungsakzeptanz und somit dann auch die Gesamtakzeptanz der SSI untersucht werden.

Fazit:

Damit sich SSI als neuer Identifikationsstandard durchsetzen kann und ein entsprechendes Ökosystem entsteht, dass den Anforderungen verschiedener Stakeholder gerecht wird, ist es entscheidend, dass weitere Anwendungsfälle definiert werden und umfassende Standards geschaffen werden, welche unter anderem die Qualitätssicherung von digitalen Nachweisen regelt. Die Formulierung von Anwendungsfällen trägt essenziell dazu bei, dass SSI-Lösungen so ausgestaltet werden, dass diese auch tatsächlich genutzt werden, da bei der Erarbeitung der Anwendungsfälle die Merkmale und Funktionen, welche SSI abdecken muss kritisch hinterfragt werden.